Katze in der leeren Wohnung von Wislawa Szymborska, übersetzt von Karl Dedecius
Sterben das tut man einer Katze nicht an. Denn was soll die Katze in einer leeren Wohnung. An den Wänden hoch, sich an Möbeln reiben. Nichts scheint sich hier verändert zu haben, und doch ist alles anders. Nichts verstellt, so scheint es, und doch alles verschoben. Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.
Auf der Treppe sind Schritte zu hören, aber nicht die. Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt, ist auch nicht die, die es früher tat.
Hier beginnt etwas nicht zur gewohnten Zeit. Etwas findet nicht statt, wie es sich gehört hätte. Jemand war hier und war, dann verschwand er plötzlich und ist beharrlich nicht da.
Alle Schränke durchforscht. Alle Regale durchlaufen. Unter Teppichen geprüft. Trotz des Verbots die Papiere durchstöbert. Was bleibt da noch zu tun. Schlafen und warten.
Komme er nur, zeige er sich. Er wird's schon erfahren. Einer Katze tut man so was nicht an. Sie wird ihm entgegenstolzieren, so, als wollte sie's nicht, sehr langsam, auf äußerst beleidigten Pfoten. Noch ohne Sprung, ohne Miau.
Markt und Strassen stehn verlassen still erleuchtet jedes Haus einsam streif ich durch die Gassen - alles sieht so festlich aus ...
In dem Fenster dort am Platze, wo ein blaues Kissen liegt, hat sich eine graue Katze ganz behaglich hingeschmiegt.
Über ihr da baumeln Sterne, unter ihr die Heizung schmaucht - draussen unter der Laterne steh ich mager und verbraucht. Auf des Fensters warmer Seite Rührt die Katz kein Augenlid, während diesseits eine zweite Katze mit entgegensieht:
Eine jämmerliche Fratze, struppig, ausgezehrt und wild - leider kenn ich diese Katze, denn es ist mein Spiegelbild. Upps! Jetzt ist das Bild zerflossen, denn das Licht im Raum ging an, zeigt mir durch die Fenstersprossen einen kahlköpfigen Mann.
Tritt ans Fenster, krault die Katze, und jetzt hat er mich gesehen - besser mach ich mich vom Platze, wird wohl Zeit zum Weitergehen.
Schon hör ich das Fenster knirschen, schon erscheint sein kahler Kopp - höchste Zeit mich wegzupirschen. Doch da sagt er: "Mieze, hopp!"
Lockend klopft er auf das Kissen, wo die graue Katze lag. Hab mich schnell zusammengerissen. Spring ich hin? Wie gern ich mag!
Seit jenem Tag - das ist nicht wenig - bewohne ich als zweite Katz dies warme Haus, fast wie ein König. Und mein Dosi mit der Glatz ist mein wunderbarer Schatz!